Ältere Menschen
Angesichts der Coronavirus-Pandemie sind die Forderungen nach neuen Maßnahmen für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf und nach einer Erneuerung des Pflegesystems wieder verstärkt in den Fokus gerückt. Am 7. September 2022 wurde hierzu die Europäische Strategie für Pflege und Betreuung von der Europäischen Kommission vorgestellt.
Sie hat zum Ziel, hochwertige, bezahlbare und leicht zugängliche Pflege- und Betreuungsdienste in der gesamten Europäischen Union zu gewährleisten und sowohl die Situation der Betreuungs- und Pflegebedürftigen als auch die Situation derjenigen, die sich professionell oder informell um sie kümmern, zu verbessern. Dazu gibt sie den europäischen Mitgliedstaaten Maßnahmen an die Hand, um vor allem dem in Grundsatz 18 der europäischen Säule sozialer Rechte festgehaltenen Recht auf Zugang zu bezahlbarer und hochwertiger Langzeitpflege gerecht zu werden.
Um die Herausforderungen und Chancen des demografischen Wandels in Europa zu diskutieren und politisch zu bearbeiten hat die Europäischen Kommission im Januar 2021 das Grünbuch zum Thema Altern: Förderung von Solidarität und Verantwortung zwischen den Generationen veröffentlicht. Schwerpunkte des Grünbuchs sind unter anderem Maßnahmen für ein gesundes und aktives Altern, lebenslanges Lernen sowie die finanzielle Absicherung in der nachberuflichen Phase.
- Care-Gehalt: Sorgearbeit von pflegenden Angehörigen angemessen bezahlen
- Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
- Soziale Aspekte der UN Agenda 2030
- Beratungsangebote für (erwerbstätige) pflegende Angehörige in Österreich und der Schweiz
- Pflegende Angehörige
- Grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Sicherung der Daseinsvorsorge
- Ehrenamt in der Hospiz- und Palliativversorgung
- Migration von Pflegefachkräften aus den Visegrád-Staaten
- Demenz
Care-Gehalt: Sorgearbeit von pflegenden Angehörigen angemessen bezahlen
Eine interne Recherche der Beobachtungsstelle (nicht veröffentlicht) von November 2022 hat sich mit dem sogenannten Care-Gehalt beschäftigt. Dabei handelt es sich um eine finanzielle Leistung für pflegende Angehörige, die sich in der Theorie an einer 20- bis 40-Stunden-Woche auf Basis des Mindestlohns orientiert. Demgegenüber fällt die Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige als finanzielle Leistung geringer aus, da sich diese am Elterngeld orientiert und 65 bis 100 Prozent des Vorjahresnettogehalts umfassen kann (DIW Berlin 2022: 4).
Die Recherche ergab, dass das Care-Gehalt in drei europäischen Ländern bereits teilweise angeboten wird: Seit 2019 können in Österreich im Kanton Burgenland pflegende Angehörige im sogenannte Burgenland-Modell nach einem Grundausbildungskurs angestellt werden und ein Care-Gehalt beziehen. In Dänemark können Personen, die einen schwer kranken, sterbenden oder behinderten Angehörigen pflegen, eine Pflegevergütung beziehen. Die Höhe ist von verschiedenen Faktoren abhängigund wird von der Gemeinde, in der die Pflege stattfindet, ausgezahlt. In der Schweiz können sich pflegende Angehörige von der Caritas in den Kantonen Luzern und Zug anstellen lassen. Ab 2023 wird eine Ausweitung auf weitere Kantone angestrebt. Bei Solicare existiert dieses Modell bereits in 16 weiteren Kantonen. Bei beiden Schweizer Modellen werden die pflegenden Angehörigen durch diplomierte Pflegefachpersonen regelmäßig zur Qualitätssicherung besucht. Zudem muss der Wohnsitz des pflegenden Angehörigen in einem der zugelassenen Kantonen liegen. In Deutschland hat sich der Sozialverband VdK mit dem Thema in einer Studie beschäftigt. Laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist jedoch eine Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten für pflegende Angehörige geplant.
Beratungsangebote für (erwerbstätige) pflegende Angehörige in Österreich und der Schweiz
In Österreich und der Schweiz werden der größte Anteil der pflegebedürftigen Menschen zu Hause von (pflegenden) Angehörigen unterstützt und gepflegt – eine oftmals kräftezehrende Aufgabe, die durch die Coronavirus-Pandemie und zeitweise vielen geschlossenen Unterstützungsangeboten an Intensität zugenommen hat. Vielen pflegenden Angehörigen fällt es schwer sich abzugrenzen oder Hilfe anzufordern, wenn sie mit der Situation überfordert sind. Daher sind gute Beratungsstrukturen erforderlich, die präventiv aber auch in einer Überlastungssituation, pflegende Angehörige dabei unterstützen, ihr eigenes Leben – auch neben Erwerbsarbeit und Kindererziehung – und die informelle Pflege gut zu gestalten und zu organisieren.Eine im Juli 2021 erstellte Übersicht der Beobachtungsstelle (nicht veröffentlicht) zeigt, dass in beiden Staaten eine Vielzahl an Informations- und Beratungsangeboten für pflegende Angehörige bestehen. Beratungsstrukturen, die eine Vereinbarkeit unterstützen, lassen sich vermehrt in der Schweiz finden. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass der Bedarf in der Schweiz höher ist, da der Anteil erwerbstätiger pflegender Angehöriger im Vergleich zu Österreich erheblich größer ist. Im Fokus der Mehrheit der Beratungsangebote für pflegende Angehörige stehen allerdings die Pflege(situation), die Behinderung oder Erkrankung als Auslöser für den Beratungsbedarf.
Soziale Aspekte der UN Agenda 2030
Ältere Menschen werden im Sinne der Verpflichtung "leave no one behind" in sieben der 17 der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) explizit benannt. Dies zeigt eine Kurzrecherche der Beobachtungsstelle zu den sozialen Aspekten der UN Agenda 2030 im März 2021. Innerhalb der nationalen Nachhaltigkeitsstrategien der EU-Mitgliedstaaten zur Umsetzung der UN Agenda 2030 fehlen allerdings meist konkrete Ziele und Indikatoren im Bereich Politik für ältere Menschen. Teilweise werden Datensysteme für politische Entscheidungen verwendet, die Menschen außerhalb der Altersgruppe 15-64 Jahren ausschließt. Unter anderem ist dies mit einer schlechten Datenlage bezüglich älteren und hochaltrigen Menschen zu begründen.Zivilgesellschaftliche Organisationen und Interessenvertretungen älterer Menschen appellieren: Nachhaltige Entwicklung sollte auch im Kontext der Bevölkerungsalterung und des demografischen Wandels gestaltet werden sowie insbesondere ältere Menschen stärker in allen Bereichen in das Blickfeld rücken. Eine wichtige Organisation in diesem Themenfeld ist die Stakeholder Group on Ageing (SGA). Diese bündelt globale und nationale Interessenvertretungen für ältere Menschen und ist Teil des Gremiums „Major Groups and Other Stakeholders“, die die Umsetzung der UN Agenda 2030 begleiten.
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
Immer mehr Menschen sind berufstätig und kümmern sich gleichzeitig um pflegebedürftige Kinder oder Angehörige. Doch wie unterstützt Politik die Menschen dabei, diese Doppelbelastung unter einen Hut zu bekommen? Die Beobachtungsstelle geht dieser Frage in ihren umfangreichen Veröffentlichungen zu diesem Thema nach.
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Alles unter einen Hut? Wie Vereinbarkeit von Pflege und Beruf bei unseren europäischen Nachbarn funktioniert2015in: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit 2: 126-136.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Sicherung der Daseinsvorsorge
Die Sicherung der Daseinsvorsorge steht in vielen Regionen Deutschlands vor Herausforderungen in Folge der Auswirkungen des demografischen Wandels. Kommunen sehen sich der Aufgabe gegenüber, Lösungen für diese Herausforderungen zu entwickeln und die lokalen Strukturen an die aktuellen und zukünftigen Gegebenheiten anzupassen. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit stellt eine Möglichkeit dar, gemeinsam mit Kommunen und Regionen in Nachbarländern diese Herausforderungen anzugehen. Die Beobachtungsstelle analysiert hierfür Chancen und Vorteile sowie Erfolgsfaktoren und Hindernisse der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
Ehrenamt in der Hospiz- und Palliativversorgung
Die demografischen Entwicklungen in Europa führen auch im Bereich der Hospiz- und Palliativversorgung zu Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich der steigenden Anzahl der zu begleitenden Menschen. Ehrenamtliche leisten hier einen wichtigen Beitrag zur Hospiz- und Palliativversorgung. Vor diesem Hintergrund werden in einem Arbeitspapier u.a. folgende Fragen untersucht: Wie ist das Ehrenamt im Bereich Hospiz- und Palliativversorgung in Frankreich und in Polen organisiert und koordiniert? Welche Aufgaben übernehmen Ehrenamtliche? Wie werden sie qualifiziert? Und wie können Ehrenamtliche zukünftig rekrutiert und stärker an das Ehrenamt gebunden werden?Pflegende Angehörige
80 Prozent der Pflege wird in Europa von informell Pflegenden erbracht. Dabei sind pflegende Angehörige auf Informationen und Beratung rund um die Pflege angewiesen und sollten sich über ihre Rechte informieren können. Beratung und Unterstützung anzunehmen, kann darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesundheit leisten und vor Überlastung schützen. Dass auch Kinder und Jugendliche eine bedeutsame Rolle in der Versorgung und Pflege von Angehörigen spielen und ebenfalls auf Unterstützung angewiesen sind, zeigt die Kurzexpertise „Pflegende Kinder und Jugendliche, Unterstützungsmaßnahmen in Österreich, dem Vereinigten Königreich und Irland“.